Die Schneekönigin in der Steppe
Der südkoreanische Regisseur Seong-gang Lee hat die Zuschauer 2002 mit Mari iyagi (My Beautiful Girl, Mari) in surreale Gefilde geführt und dafür in Annecy den Preis „Bester Langspielfilm“ erhalten. In Cheon-nyeon-yeo-woo-yeo-woo-bi (Yobi, the Five Tailed Fox, 2007) hat er es zudem grossartig geschafft, den computeranimierten Animationen einen Zeichentrick-Look zu verpassen, der sich sehen lassen kann. Bunt und detailliert ging der Film zu Werke und verknüpfte märchenhafte Elemente mit Science-Fiction. Nach zwei Kurzfilmprojekten widmete sich Lee wieder einem animierten Langspielfilm: Ka-i: Geo-wool ho-su-eui jeon-seol (Kai).
Vor langer Zeit wollte der Teufel mit einem Spiegel vor den Göttern prahlen, doch das Objekt zersplitterte vorher in unzählige Stücke, zerstreute sich auf der ganzen Erde und brachte das Böse in die Welt. Viele Jahre später kämpfen Mutter, Sohn Kai und Tochter Shamui während eines Schneesturms gegen Wind und Wetter, als ein Unglück geschieht. Die kleine Shamui stürzt ab und verschwindet in der Dunkelheit. Jahrelang trauern Mutter und Sohn dem Verlust nach und ahnen nicht, dass Shamui von der Schneekönigin Hattan entführt und in ihren Palast aus Eis gebracht wurde.
Das klingt verdächtig nach Andersens Märchen, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Und weil die Geschichte dazu allseits bekannt sein dürfte, gibt es für geübte Zuschauer kaum Überraschungen. Lee erzählt das Märchen immerhin auf seine Weise, lässt die Steppenbewohner vor der drohenden und sich immer weiter ausbreitenden Kälte nicht erstarren, sondern zurückkämpfen. Der mutige Junge Kai erhält zudem die Möglichkeit, mit einer magischen Perle der bösen Hexe das Handwerk zu legen. Dass er dabei bald auf seine lang verschollene Schwester treffen wird, ahnt er noch nicht.
Regisseur Lee liess sich neben der Märchen-Vorlage ausserdem vom grossen japanischen Meister Miyazaki inspirieren, bringt Naturgeister mit ins Spiel und sorgt damit für einige humoristische Szenen. Dazwischen actionreiche Verfolgungsjagden mit hungrigen Wölfen, mysteriösen eisigen Zauberkräften, emotionalen familiären Verbindungen und mit Vorsicht zu geniessenden Freundschaften. Lee kombiniert dies alles mit einem soliden Verständnis für einen unterhaltsamen Familienfilm, der vor allem jüngere Kinder begeistern soll. Die Charaktere bleiben dementsprechend aber eher eindimensional und die Grenzen zwischen Gut und Böse sind klar getrennt. Immerhin, der Aspekt der Umwelt, die Klimaveränderung könnte man als aktuellen Bezug hineininterpretieren, der die Menschen zu Nomaden macht. Eine Force Majeur, die ab einem bestimmten Wendepunkt nicht mehr zu beeinflussen ist, ähnlich der Absichten der Hexe, ein Eisreich zu errichten. Allerdings spielt der Film vielmehr mit den zwischenmenschlichen Beziehungen von Freundschaft und Loyalität, sowie dem Glauben daran, über sich hinauswachsen zu können.
Animationstechnisch orientiert sich der Südkoreaner wieder am klassischen Zeichentrickfilm, versteckt den computeranimierten Ursprung aber in keinster Weise. Kai ist dennoch ein optisch eher minimalistisch gehaltener Animationsfilm, wenn auch ein bunter, der mutig auf Details verzichtet und versucht, von der einfach gestrickten, aber stellenweise dramatischen Geschichte zu leben. Nur solides Handwerk also und damit im Werk des Regisseurs Lee eher ein Rückschritt. Man darf den Animationsfilm aus Südkorea als sehenswert für Kinder, die sich nicht vor bösen Wölfen, gefrorenen Menschen und bösen Hexen fürchten, durchaus empfehlen. Erwachsene sind zur Zeit aber beim südkoreanischen Anime-Auteur Sang-ho-Yeon (Seoul Station, The Fake, King of Pigs) besser aufgehoben.
Am Fantoche:
Wann & Wo
Fr., 08.09, 18:30 Kino Trafo
Sa., 09.09, 20:45 Kino Trafo
So., 10.09, 14:15 Kino Trafo
KAI (2016)
Land: Südkorea
Studio: Studio Dadashow
Regie: Seong-gang Lee
Schnitt: Youn-jung Lee
Musik: Dong-uk Kim
Laufzeit: 96 Minuten
Festival: Fantoche Baden
Verleih: –
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